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Glossy ‘Elle’, italienische Ausgabe

“Eine Frau muss nicht zahlen”. Das ist die schnelle Antwort in Amsterdam. Denn es ist offensichtlich, oder? Eine Frau kann abends in jedes Café gehen und abholen wen sie will. Bezahlen muss sie nicht. Warum um alles in der Welt sollten Männer in den Schaufenstern des Rotlichtviertels stehen, wo man im Schatten der Kirche fünfzehn Minuten Sex für 50 € kaufen kann? Welch naive Frage. Eine Frau muss die Männer meist abschütteln.

Es ist ein Markt in eine Richtung. “Jede Frau weiß ganz genau dass nichts gefährlicher ist als abends in eine Kneipe zu gehen und die erste aufzuheben die kommt“, wendet René ein. “Damit wir dich in drei Monaten in Stücke geschnitten in seinem Kühlschrank finden“, sagt er. Und dann, “Glaubst du, du musst bezahlen?“, flüstert er in meinen Hals, meine Bluse zwischen seinen Fingern.

Denn der Markt “Männer für Frauen“ existiert: er ist nur ein versteckter Markt.

Er ist 42, er hat den Körper eines Gottes: René ist Unternehmensberater und bietet sich heimlich etwa dreimal pro Woche als männlicher Sexarbeiter oder Gigolo an. Ich habe ihn vor zwanzig Minuten zum ersten Mal in der Hotellobby getroffen. Theoretisch sollten wir nicht unbedingt gemeinsam im Bett landen. “Das Wichtigste an meiner Arbeit ist nicht Sex. Sagen wir, es ist halb Zuhören und halb Sex. Alles in allem geht es vor allem darum Spaß zu haben“, lächelt er. In der Zwischenzeit hat er bereits das Licht gedimmt, Klaviermusik gewählt und zwei Gläser Wein eingeschenkt. Seine Hände liegen schon auf meinem Rücken und gleiten gefährlich nach unten.

MASSAGEN

Die Verabredung dauert drei Stunden. Oder mehr, wenn Ihnen das lieber ist, aber nicht weniger. Denn alles beginnt mit zwei Massagen, einer entspannenden, nach Renés Definition, bei der man noch ein paar Zentimeter Stoff trägt. Das andere….

Er fährt mit dem Finger über meine Lippen und wischt jedes Wort weg. Seine Hände gleiten intensiv mehr und mehr nach unten. Eigentlich sollten wir nicht zusammen im Bett landen, aber er hat mir sanft ein Knie zwischen die Schenkel geschoben und das ist mehr wert als dreißig Hände.

Männer hinter den Fenstern wurde bereits 2007 versucht. Es dauerte nur einen Tag, und das Ergebnis waren null Kunden. Die Idee war nicht verkehrt, das Fenster schon. Was natürlich funktioniert ist der Kontakt über das Internet. Nicht nur in Amsterdam.

Wiederkehrende Kunden sind diejenigen die ich interviewen werde, und sie sind das Gegenteil von dem was wir uns vorstellen können. Mindestens 250,- € für einen Termin plus Hotel und Material. In den fünfzehn Minuten die eine Frau sozusagen braucht um sich nach seinem Namen zu erkundigen, wäre ein Mann bereit und zufrieden. Diese zusätzliche Zeit und der daraus resultierende höhere Preis macht den Gigolo-Markt zu einem Elitemarkt und wird hauptsächlich von sogenannten Karrierefrauen besucht.

ANONYM

Die erste die ich treffe -nachdem ich ihr völlige Anonymität versprochen habe- ist leicht zu erkennen. Sie ist eine TV-Journalistin wie ich, von Kopf bis Fuß makellos. “Ich bin jetzt Single und hätte keine Probleme einen Typen für einen One-Night-Stand zu finden. Im Gegenteil, sie sind normalerweise hinter mir her. Es ist nur so, dass ich in einem von Männern dominierten Umfeld arbeite, in dem ich es tun würde als ‘Schlampe’ abgestempelt werden, wo das einem Mann nicht passiert, der jede Nacht eine andere Frau hat. Das kann ein Mann ohne weiteres zugeben. Es ist nicht nur gesellschaftlich erlaubt, es ist auch gesellschaftlich akzeptiert, oder? Der coole Mann, dem keine Frau widerspricht. Aber wenn ich sagen würde, ich mag Männer, Männer sind heiß, Sex ist gut … Wenn ich derjenige wäre, der das sagen würde, würde es nur als vulgär angesehen werden.”

GIGOLO RENE BUCHEN

Sein Klientel ist zwischen 25 und 45 Jahre alt. Und vor allem wie sie. “Sie buchen mich aber aus den unterschiedlichsten Gründen“, erklärt René. “Am Ende haben sie alle ihre eigene Geschichte. Von der 30-Jährigen, die ihre nicht vorhandene erste sexuelle Erfahrung, ihre Jungfräulichkeit als Hindernis betrachtet, bis zu jener Dame von vor ein paar Tagen. Von ihrem Mann betrogen. Sie wollte ihm zu verstehen wie es sich anfühlt. Die Wunde. Das Entsetzen, die Ernüchterung. Ich kam bei ihr an und ihr Mann war auch da. Er musste sie mit mir allein lassen.”

“Oder auch -wie so oft- Paare, die, sagen wir mal, keine Routine mögen. Oder Frauen die in ihrer Ehe etwas vermissen, aber nicht genug um sie beenden zu wollen. Und viele Frauen die ihrem Körper nicht vertrauen, und folglich auch dem Sex nicht. Frauen die sich selbst kaum kennen und die irgendwie Angst vor sich selbst haben, vor ihren Instinkten, vor ihren Emotionen. Frauen die ihre Partner lieben, aber Angst haben, sie deswegen zu verlieren. Irgendwie fühlen sie sich gezüchtigt, unvollständig.“

“Und Frauen die etwas entdecken wollen. Sich selbst entdecken fällt mit mir leichter. Diese Frauen rufen mich nicht an um etwas anderes zu bekommen, einen anderen Mann, sondern vor allem um mehr Tiefe in das zu bekommen was sie bereits wissen“.
“Am Ende denke ich oft: Ich glaube, ich sollte eigentlich derjenige sein, der zahlt.”

HAUT AN HAUT

Aber das erklärt mir René erst später. Jetzt hält er mich fest, Haut an Haut, auf dieser Insel aus Halblicht und geflüsterten Worten. Einander entdecken, wo nichts anderes zählt. Oder wenn er Ihnen den Ring wieder an den Finger schiebt, um Sie zurück in Ihr eigenes Leben zu führen, zu dem Sie gehören, und Sie zum Essen einlädt.

Im Moment konzentriert er sich voll und ganz auf seine Rolle. Du kannst ihn fragen was du willst, es gibt keine Grenzen, keine Regeln, außer dass er derjenige ist der anfängt. Er ist ein Profi, ein Meister des Erwartungsspiels. Mit dem Rücken zu ihm, man sieht ihn nicht, beginnt er zu massieren. Es ist die einzige Regel: Fühle nur ihn, fühle nur dich selbst.

LUST

Du hast kaum Zeit zu erkennen dass du wirklich hier bist und jetzt nackt bei einem Fremden liegst. Seine intensive Art dich überall zu berühren und, getrieben von deiner Reaktion, deinem Zittern, deinem Atem, jedes Mal ein bisschen früher zu stoppen.. Mit diesem Knie immer da, zwischen deinen Schenkeln, und der Lust, die du langsam und kraftvoll beherrschst, erzeugst und überwältigen. Das ist das Schönste in dieser hektischen Welt. Er verwöhnt dich. Seine Hände überall, auf deinen Brüsten, deinen Nippeln, mit denen er spielt. Es baut auf und zieht sich wieder zusammen und Ihr Körper wird wiederbelebt. Es handelt sich nicht mehr um ein paar erogene Stellen, der ganze Körper ist involviert, das ist das Schönste. Du würdest dich am liebsten umdrehen und sagen: “Nimm mich, nimm mich jetzt”…

René sagt nie ‘meine Kunden’. Er ist ein Profi und spricht über ‘meine Frauen’. Er ist an dir interessiert und versucht zu verstehen wer du bist. Normalerweise folgt ein Date nach anderthalb Monaten von Nachrichten oder Telefonaten hin und her. Die Fragen sind gegenseitig. “Weil das Tabu in meiner Arbeit ehrlich gesagt ein anderes ist“, sagt er. “Es geht nicht darum dass die Frau nach Sex sucht. Es geht um die Frau, die nach Vergnügen sucht, ich meine die Frau die empfangen möchte ohne etwas dafür geben zu müssen. Etwas nur für sich selbst zu tun. Deshalb kannst du mich fragen was und wie du es will, aber im Grunde möchte ich nur dass du ‘da bist’, sonst nichts. In meinen Händen.

Ich möchte dass alles für einen Moment auf dich abgestimmt ist. Du bist niedergedrückt von tausend Erwartungen, tausend Verantwortlichkeiten, Begrenzungen, tausend von Ängsten, du bist es gewohnt viel zu geben und wenig zu bekommen, und zu glauben dass du wenig bekommst weil du nicht genug gegeben hast, weil du keinen Anspruch darauf hättest, du bekommst wenig, weil das so ist: unsere Gesellschaft ist am Ende Dienst der Männer.”

BEFREIUNG

“Es ist in der Tat seltsam. Während jeder Mann danach strebt Ihnen das Gefühl zu geben etwas Besonderes zu sein, liegt das Schöne an René genau darin dass er Ihnen das Gefühl gibt normal zu sein. Er befreit dich von der Unsicherheit. Und für einen Moment von deinen Ängsten. Und es hilft dir auch es in einen Zusammenhang zu stellen, zu verstehen dass du nicht allein bist“, erzählt mir F. (34). Sie ist Anwältin für Strafrecht, sie ist geschickt im Umgang mit Worten. Aber nicht jetzt, wo sie in einem Café vor mir sitzt, charmant ahnungslos, zerbrechlich, wegschauend. “Meine Kindheit….meine Teenagerzeit….sagen wir mal so, es war ungewöhnlich. Eine gescheiterte Beziehung. Vertrauen fällt mir schwer, mich zu öffnen. Ein Orgasmus….es ist nicht einfach. Meine letzte Beziehung endete weil deswegen. Auch deswegen. Du kannst dir nicht vorstellen wie sehr ich ihn geliebt habe. Ich war so frustriert, so entmutigt.“

Obwohl wir über Sex reden würden, reden wir am Ende über Prostitution. Wir haben die Vorstellung dass Sex für Geld etwas für Männer oder Frauen ist die vor emotionaler Beteiligung zurückschrecken, aber stattdessen ist es ganz anders. “Sicherlich gibt es einen emotionalen Austausch, nicht nur Sex. Es ist ein intensiver Austausch, viel tiefer als sonst, gerade weil man am Ende mit einem Fremden zusammen ist und die Ähnlichkeit offensichtlich ist. Sie können sich absoluter Diskretion sicher sein, dass René es tun wird geh wieder weg und du kannst dich -ich weiß, es klingt komisch- ganz öffnen“, sagt sie. “Und irgendwann merkst du dass du nicht allein bist.”

“Denn was auch immer Ihr Hintergrund ist, René hat in der Tat wahrscheinlich viele Frauen mit einem Hintergrund wie Ihrem getroffen. Du erkennst dass es nicht deine Schuld ist dass sich dein Leben so entwickelt hat, wie es gekommen ist. Und dass es jetzt darum geht das Leben genießen zu lernen. Auch wenn es nur drei Stunden sind. Lernen zu vergessen.“

Der gesamte Termin wird auf Sie abgestimmt. Du kannst machen was du willst, aufhören wann du willst, drei Stunden völlige Freiheit. Du kannst sein, was oder wer du willst, und Dinge tun, von denen du nie gedacht hättest dass du dazu in der Lage bist. Weil alles so entspannt, so süß, sinnlich und so überirdisch schön ist. Irgendwann merkst du einfach dass er dich nicht nur mit seinen Händen berührt. Du liegst jetzt auf dem Rücken und deine Augen sind noch geschlossen, genau wie er es von dir wollte. Und diese eine Regel: dass man die Dinge einmal loslassen muss, sich selbst gehen lassen muss und sonst nichts. Fühlen. Fühle dich selbst.

“Kann ich?”

Er berührt dich. Ein Körper, über dir. Und eine warme Stimme. Während er deinen Hals streichelt, fragt er dich, bevor du überwältigt wirst: “Kann ich?”